Bioboom beim Bäcker?


Wie Biogroßbäckereien traditionellen Backstuben Konkurrenz machen.

"Tim Oerter" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)
„Tim Oerter“ / http://www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)

Es ist 4.00 Uhr am Morgen, vor dem Fenster weicht die Dunkelheit nur langsam dem anbrechenden Tag. In der Backstube spiegelt sich das Licht der Neonröhren im Trichter des Teigportionierers. Es riecht nach Sauerteig und frisch gebackenem Brot, Mehlstaub kitzelt in der Nase. Eine Kentmaschiene surrt leise im Hintergrund, hin und wieder piept der Backschrank. Die Bäcker arbeiten schweigend. Nur Robert Haverkamp gibt leise Anweisungen. „Mir fehlen hier noch 40 Gramm“, und „Sind die Kastenformen schon gefettet? Heute sind dreißig Moorkörner bestellt“.

Er ist Bäckermeister und Inhaber der Backstube am Mühlenberg, dem typischen Bild eines wohlgenährten Bäckers entspricht er nicht. Groß gewachsen und beinahe hager steht er neben dem Teigportionierer und prüft dessen Füllstand. Vor 27 Jahren hat Haverkamp seine erste Backstube eröffnet. Obwohl seine Eltern als konventionelle Bäcker gearbeitet haben, entschied er sich für die Inbetriebnahme einer Biobäckerei. Bio bedeutet für ihn nicht nur ökologisch angebautes Getreide, sondern vor allem Handarbeit. In der Backstube gibt es deshalb nur wenig Maschinen: drei Rührmaschinen, ein Küchengerät und ein Teigportionierer erleichtern das Tagewerk. Alle anderen Arbeiten, wie Brot formen und Kuchenböden vorbereiten, erledigen die Mitarbeiter per Hand und im Stehen. Nach einem Stuhl oder einer Bank sucht man vergeblich im Backraum. Regale voller Bleche, Kastenformen, Rührgeräte in verschiedenen Größen und Rohzutaten haben auch die letzte freie Stelle an der Wand eingenommen. Gegenüber stapeln sich Papiersäcke mit dem orangen demeter-Logo.

Dieses Gütesiegel gibt es bereits seit über 20 Jahren. Es steht für ökologisch-dynamische Landwirtschaft, die auf den Impuls des Waldorfpädagogen Rudolf Steiner zurückgeht. Laut eigener Angabe möchte demeter mehr als ein einfaches Biosiegel sein. Deshalb sind die Auflagen auch strenger. Ein Bauer muss in jedem Fall Tiere halten, auch dann, wenn er Getreide verkauft. Düngen darf er die Saat nur mit einer Mischung aus Kräutern, Kiesel und Kuhfladen. Die Backstube am Mühlenberg ist von diesem Konzept überzeugt. Sie gehen sogar noch weiter und geben nur regional verarbeitetes Mehl in ihren Teig. Besonders stolz ist Haverkamp auf den Sauerteig: „Wir geben keine künstlichen Gärstoffe zu und lassen der Masse genug Zeit zum Reifen. So hat sie nach jedem Arbeitsgang Zeit für die Aromen- und Krumenbildung.“

Längst ist es nicht mehr in allen Bäckereien üblich, den Teig selbst anzurühren. Backmischungen aus der Tüte stoßen nicht nur in den heimischen Küche immer häufiger auf Beliebtheit. Auch in Bäckereibetrieben werden sie öfter verwendet – aus Kostengründen. „Eigentlich sind die Bäcker auch nur Opfer der Großen“, merkt Haverkamp an. Bitterkeit schwingt in diesem Satz mit. Denn in der Biobranche wird die Konkurrenz zu den großen Betrieben seit einigen Jahren ebenfalls spürbar. „Seit etwa 5 Jahren muss man in der Bioszene über Preise reden. Wir spüren den Bioboom, nur rückwärts“, bemerkt auch seine Lebensgefährtin, Frau Holthausen, mit Blick auf die Umsatzzahlen, „jetzt geht es um Masse und das günstigste Angebot.“ Das haben meistens die Großbetriebe, die mit Kühlung und Schichtarbeit auftrumpfen.Die Tagesschicht bereitet die Teigrohlinge. Diese sind in etwa mit den Aufbackbrötchen aus dem Supermarkt zu vergleichen und werden in großen Kühlschränken gelagert. Die Nachtschicht ist hauptsächlich mit dem Aufbacken der Rohlinge beschäftigt. Wer auf diese Art Massenware produziert, kann den Preis drücken. So kostet ein Brötchen bei einer bekannten Backkette 0,19 Euro. Für das Biobrötchen muss man deutlich mehr Geld ausgeben. Etwa 60 Cent bezahlt der Käufer für ein solches. „Lange Zeit war der Biomarkt einer solchen Konkurrenz nicht ausgesetzt“, weiß Frau Holthausen zu berichten. Erst mit dem Bio-Boom der letzten Jahre änderte sich etwas bei den Biobetrieben. Waren Backstuben mit Bioprodukten lange kleine Nischenbetriebe, wächst seit 2007 die Nachfrage nach eben dieser Ware stetig an. Gesund, natürlich, ein „richtiges“ Brot – mit diesen Schlagwörtern verbinden viele Deutschen Bioartikel, die es zunächst nur im Reformhaus zu kaufen gab. Um sich selbst „etwas Gutes zu tun“, wie es eine Kundin beschreibt, sind sie bereit, etwas mehr Geld für etwas mehr Qualität zu bezahlen.

Der Trend hat sich fortgesetzt. Heute werden Biobrote und Co. nicht mehr nur in Reformhäusern verkauft. Supermarktketten eröffnen, die ausschließlich Naturprodukte verkaufen und der Discounter an der Ecke bietet Ware mit Ökosiegel an. Nur zum Schein vergrößert sich so der Absatzmarkt der kleinen Betriebe. Ihnen fehlen oft die Kapazitäten, um die angefragten Mengen zu produzieren. Gleichzeitig spezialisieren sich Großbetriebe auf Biowaren. Auch sie verarbeiten dann zertifiziertes Getreide, nutzen aber zur gleichen Zeit Maschinen und Kühlung. „Wenn wir da mithalten wollten, müssten wir hier im 12 Uhr nachts beginnen. Und mehr Mitarbeiter bräuchten wir auch. Der nächste Schritt wäre dann die Kühlung. Aber ist das noch Bio?“ Mit einem Kopfschütteln scheint Frau Holthausen ihre Frage selbst zu beantworten. „Das macht auch was mit den Menschen.“ Menschen sind der gelernten Lehrerin wichtig. Die Mitarbeiter kennt sie mit Namen, man duzt sich, fragt nach der Familie. Die Backstube liegt direkt neben einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen. Eine Mitarbeiterin kommt von dort. Sie ist froh, dass sie hier arbeiten kann, sagt sie. Es sei eine „richtige Arbeit“, im Gegensatz zu jener, die in den Behindertenwerkstätten verrichtet wird.

Draußen wird es langsam hell. Ein reetgedecktes Haus zeichnet sich zwischen den Feldern ab. In der Backstube stapeln sich gelbe Kisten, in einer halben Stunde beginnt die Auslieferung an Reformhäuser und Hofcafés. Robert Haverkamp legt zwei Brote in eine Kiste und streicht die letzte Zeile auf seiner Liste durch. Für heute ist sein Arbeitstag beendet. Morgen wird der Bäckermeister wieder ab 1.00 Uhr in der Backstube stehen und sein gesundes Brot backen. Das Brot in dem viel Handarbeit steckt und das er mit gutem Gewissen verkaufen will – so lange es eben noch geht.

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